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Kamillenblüten - Matricariae flos [Ph. Eur. 7.0 (01/2008:0404)]

Stammpflanze: Matricaria recutita L. / Echte Kamille [Fam. Asteraceae / Korbblütengewächse]. Synonyme: Chamomilla recutita (L.) RAUSCHERT, Matricaria chamomilla auct. Weitere, weniger bedeutungsvolle Synonyme sind Chamomilla meridionalis C. KOCH, Chamomilla vulgaris S. F. GRAY, Chrysanthemum suaveolens (L.) CAVAN., Matricaria coronata GAY ex KOCH und Matricaria suaveolens L. Dt. Synonyme: Zu den zahlreichen deutschen, überwiegend regionalen und heute nur noch selten gebrauchten Bezeichnungen zählen Apfelblume, Apfelkraut, Badekraut, Bitterblume, Deutsche Kamille, Feldchamomille, Feldkamille, Gänsblumen, Gramille, Härmchen, Hermandel, Hermel, Kamillenmetram, Kammelblumen, Kammerblume, Kemach, Kleine Kamille, Laugenblume, Magdalenenkraut, Magdblum, Mägdeblume, Metterchrut, Moggelblum, Mutterkraut, Riechkamelle, Riemerei, Romeyenblume, Sisser, Teeblume, Wilde Johannesblum, Wilde Kamillen und Zackergekreit. Englisch: blue chamomile, chamomile, common chamomile, German chamomile, Hungarian chamomile, matricaria, scented chamomile, scented mayweed, sweet false chamomile, true chamomile, wild chamomile.

Botanische Beschreibung der Stammpflanze: Aromatisch riechende, einjährige, von Mai bis August blühende, 15 bis 40 cm hohe Pflanze mit dünner, spindelförmiger Wurzel, kahlem, stielrunden, aufrechtem und meist ästig verzweigtem Stengel und einzelnen Blütenköpfchen. Die wechselständig angeordneten Laubblätter sind zwei- bis dreifach fiederteilig mit fädlichen, kaum 0,5 mm breiten, stachelspitzigen Zipfeln. Der Durchmesser der Blütenköpfchen beträgt 10 bis 25 mm. Die halbkugelige Hülle besteht aus 26 bis 48, ein- bis dreireihig angeordneten, verkehrt eiförmigen bis lanzettlichen, grünen Hüllblättern mit schmalem, bräunlichem Hautrand. Die etwa 11 bis 27 Zungenblüten sind weiß, 6 bis 11 mm lang und 3,5 mm breit, zunächst waagerecht abstehend, meist aber auffallend zurückgeschlagen. Die gelben Röhrenblüten sind 1,5 bis 4 mm lang und 5zähnig. Der Blütenboden ist 6 bis 8 mm breit, anfangs flach, später konisch-kegelförmig, hohl und ohne Spreublätter. Fruchtknoten und Früchte (Achänen) ohne Pappus, Achänen 0,8 bis 1,3 mm lang, etwas zusammengedrückt, leicht hornartig gekrümmt, auf der Rückenseite glatt und ohne Öldrüsen.

Verbreitung: Heimisch auf dem gesamten europäischen Festland und in Großbritannien. Im Osten reicht das natürliche über den Kaukasus und Vorderasien bis nach Afghanistan und weiter nördlich bis Ost-Sibirien. Durch Verschleppung heute auch in zahlreichen weiteren Regionen der Erde mit gemäßigtem Klima verbreitet. In Mitteleuropa bevorzugt anzutreffen auf sandigen bis lehmigen Äckern und an frischen Ruderalstellen wie Weg- und Straßenränder und Schutt.

Droge: Die getrockneten Blütenköpfchen von Matricaria recutita L., die bezogen auf die getrocknete Droge mindestens 4,0 ml/kg (4 %) eines blau gefärbten, ätherischen Öls sowie 0,25 Prozent Gesamt-Apigenin-7-glucosid enthalten.

Beschreibung der Droge: Die Blütenköpfchen bestehen aus Hüllkelch, Blütenboden, Zungenblüten und Röhrenblüten. Der Hüllkelch besteht aus zahlreichen, in 1 bis 3 Reihen angeordneten, ovalen bis lanzettlichen, einen häutigen, bräunlich grauen Rand besitzenden Hüllkelchblättern. Der Blütenboden ist länglich-kegelförmig, bei jungen Blütenköpfchen gelegentlich halbrund, hohl und ohne Spreublättchen. Am Rande stehen 12 bis 20 Zungenblüten mit weißer, länglich-eiförmiger Zunge und bräunlich gelbem, röhrigem Grund. Im Zentrum der Blütenköpfchen befinden sich mehrere Dutzend gelber Röhrenblüten mit 5zipfeliger Blütenkrone und einem aus 5 röhrenförmig miteinander verwachsenen, epipetalen Staubblättern bestehendem Androeceum. Sowohl Röhren- als auch die Zungenblüten besitzen einen unterständigen, dunkelbraunen, eiförmigen bis kugelförmigen Fruchtknoten, dem ein langer Griffel mit 2lappiger Narbe entspringt.

Geruch und Geschmack: Charakteristischer, kräftiger, aromatischer, von den meisten Personen als angenehm empfundener Geruch und schwach bitterer Geschmack.

Synonyme Drogenbezeichnungen: Deutsch: Chamomilla-recutita-Blüten; Matricaria-chamomilla-Blüten. Englisch: Camomile Flowers, German Chamomile, Matricaria Flowers, Pin heads. Lateinisch: Chamomilla, Chamomillae anthodium, Chamomillae flos, Flores Chamomillae, Flos chamomillae, Flos Chamomillae vulgaris, Matricaria. .

Herkunft: Ausschließlich aus dem Anbau. Kultiviert werden überwiegend moderne Zuchtsorten, die sowohl auf einen hohen und konstanten Wirkstoffgehalt als auch auf anbautechnologische Parameter wie z. B. einheitlicher Blühtermin, mechanische Stabilität und Größe der Blütenköpfchen, Anordnung der Blüten in einer Ebene, hohe Keimfähigkeit, geringe Verunkrautung sowie Verlängerung der Erntekampagne durch Selektion früh- und spätblühender Sorten optimiert wurden. Hauptlieferländer sind Argentinien, Bulgarien und Ungarn, geringe Mengen kommen aus Spanien, der Tschechei und Deutschland. Große Drogenmengen werden auch aus Ägypten importiert. Infolge häufig nicht den Arzneibuchforderungen entsprechender Qualität wird diese meist im Lebensmittelbereich verwendet.

Gewinnung der Droge: Die Ernte beginnt in Europa mit Anfang der Blütezeit Ende April. Geerntet wird über einen Zeitraum von 4 bis 8 Wochen. Bei manueller Ernte wird bis fünfmal gepflückt, bei mechanischer Ernte meist nur ein- bis zweimal. Die ausschließlich in Billiglohnländern durchgeführte manuelle Ernte erfolgt entweder per Hand oder unter Verwendung von Pflückkämmen, wobei letzteres Ausbeuten 2 kg pro Stunde ermöglicht. Moderne Pflückmaschinen liefern demgegenüber mehr als 300 kg pro Tag. Das Trocknen sollte möglichst im Schatten bei Temperaturen unter 20 °C erfolgen. Tatsächlich getrocknet wird im Normalfall bei höheren Temperaturen oder im Warmluftstrom, wodurch beträchtliche Verluste an ätherischem Öl eintreten.

Inhaltsstoffe: Ätherisches Öl: Gehalt 0,3 bis 1,5 %. Zusammensetzung je nach Herkunft bzw. Kultursorte variierend. Genuin enthalten sind Bisabolide, unter diesen 5 bis 70 % (-)-α-Bisabolol, 5-60 % Bisabololoxid A, 5-60 % Bisaboloxid B, Bisabolol C, 0-8 % Bisabolonoxid, Guajanolide, darunter ca. 1 % Spathulenol, Chamaviolin und die Proazulene Matricin und Matricarin, aus denen bei der Wasserdampfdestillation 2 bis 18 % Azulene (besonders Chamazulen) hervorgehen, sowie zahlreiche weitere Sesquiterpene mit 7-45 % ß-trans-Farnesen als bedeutungsvollstem Vertreter. Weitere Bestandteile des ätherischen Öls sind bis 25 % des cis- sowie trans-Isomere des En-In-Dicycloether (= Spiroether = 2-Hexa-(2,4)-diin-1-yliden-1,6-dioxaspiro-[4,4]-non-3-en). Flavonoide: Gehalt bis 6 %. Bisher wurden über 30 Verbindungen identifiziert. Apigenin-7-glucosid ist im Durchschnitt zu 0,5 % enthalten. Neben diesem kommen in unterschiedlichen Positionen acylierte Derivate des Apigenin-7-glucosids (2"-Acetyl-, 3"-Acetyl-, 4"-Acetyl-, 6"-Acetyl-, 6"-Caffeoyl-, 6"-Malonyl-, 2",3"-Di-acteyl-, 3",4"-Di-acteyl-, 4",6"-Di-acteyl- und 4"-Acetyl-6"-malonyl-) und zahlreiche weitere Glykoside des Apigenins vor, ferner Glykoside des Quercetins wie z. B. Rutin und Hyperosid sowie des Luteolins, die freien Aglykone sowie mehrere methoxylierte Aglykone. Cumarine: Gehalt 0,01 bis 0,08 %. Nachgewiesen wurden Umbelliferon, Herniarin, Aesculin, Cumarin, Scopoletin und Isoscopoletin. Weitere Bestandteile: Phenolcarbonsäuren, unter diesen Kaffeesäure, Vanillinsäure, Syringasäure, Polysaccharide, Lipide, Phytosterole, Cholin, Aminosäuren, mineralische Bestandteile.

Wirkungen: Antiphlogistisch, spasmolytisch, wundheilungsfördernd, desodorierend, ulkusprotektiv, antibakteriell und bakterientoxinhemmend. Weiterhin führen Kamillenblüten zu einer Anregung des Hautstoffwechsels. Die Wirkungen von Kamillenblüten wurden in zahlreichen pharmakologischen Experimenten untersucht, in denen zum Teil auch Kenntnisse über Wirkungsmechanismen und wirksame Bestandteile gewonnen wurden. Demnach ist die antiphlogistische Wirkung insbesondere auf eine Hemmung von Cyclooxygenase (Prostaglandine) und Lipoxygenase (Leukotriene) zurückzuführen. Die intensivste 5-Lipoxygenasehemmung zeigt das Apigenin gefolgt von Chamazulen, Bisabolol, Bisabololoxid A und cis-En-In-Dicycloether, wogegen die 12-Lipoxygenase nur durch Apigenin gehemmt wird. Die Cyclooxygenasehemmung wird durch Bisabolol, cis-En-In-Dicycloether und Apigenin in etwa gleichem Ausmaß bewirkt. Die spasmolytische Wirkung wird auf eine Hemmung der Freisetzung von Calciumionen zurückgeführt. Vermutet wird u. a. eine direkte Hemmung des Calciumeinstroms in die Zellen der glatten Muskulatur des Magen-Darm-Trakts. Neben Kamillenblütenextrakt erwiesen sich in den entsprechenden Versuchen Apigenin und andere Flavonoide sowie Bisabolol als wirksam. Für die antibakteriell und antifungale Wirkung verantwortlich ist wahrscheinlich das Zusammenspiel mehrerer lipophiler Komponenten, darunter das Bisabolol, die En-In-Dicycloether und die Cumarine. Ulkusprotektiver Bestandteil ist ebenfalls das Bisabolol, welches konzentrationsabhängig die eiweißspaltende Aktivität des Pepsins im Magen reduziert und außerdem die Pepsinsekretion im Magen hemmt, woraus eine Hemmung der Ausbildung von Magengeschwüren und eine schnellere Abheilung resultiert.

Anwendungsgebiete: Äußerlich angewendet wird Kamille bei Haut- und Schleimhautentzündungen sowie bakteriellen Hauterkrankungen einschließlich der Mundhöhle und des Zahnfleisches, mittels Bäder und Spülungen bei Erkrankungen im Anal- und Genitalbereich und mittels Inhalation bei entzündliche Erkrankungen und Reizzuständen der Luftwege. Die innerliche Verwendung erfolgt bei Spasmen und entzündlichen Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes.

Volkstümliche Anwendungsgebiete: Kamille zählt zu den in der Volksheilkunde am häufigsten eingesetzten Drogen. Die volkstümlichen Anwendungsgebiete entsprechen im wesentlichen den oben genannten Anwendungsgebieten, die durch Wirksamkeitsnachweise und klinische Studien belegt sind.

Gegenanzeigen: Keine bekannt.

Unerwünschte Wirkungen: Keine bekannt.

Wechselwirkungen mit anderen Mitteln: Keine bekannt.

Dosierung und Art der Anwendung: Für die innerliche Anwendung wird ein gehäufter Esslöffel voll Kamillenblüten (= ca. 3g) mit etwa 150 ml heißem Wasser übergossen, 5 bis 10 Minuten zugedeckt stehen gelassen und anschließend und durch ein Teesieb gegeben. Soweit nicht anders verordnet, wird bei Erkrankungen im Magen-Darm-Bereich 3- bis 4mal täglich eine Tasse frisch bereiteter Tee zwischen den Mahlzeiten getrunken. Bei Entzündungen der Schleimhaut im Mund- und Rachenbereich wird mit dem frisch bereiteten Tee mehrmals täglich gespült oder gegurgelt. Zur Inhalation wird der Aufguss wie beschrieben hergestellt und vor der Verwendung am besten noch mit konzentriertem Kamillenblütenextrakt aus der Apotheke verstärkt. Zum äußerlichen Gebrauch in Form von Umschlägen und Spülungen sind 3-10prozentige Aufgüsse zu verwenden, als Badezusatz 50 g Droge auf 10 l Wasser. Möglichst mehrmals täglich anwenden. Alternativ zur Eigenherstellung kann aus einer großen Palette von in Apotheken erhältlichen Fertigarzneimitteln unterschiedlicher Darreichungsformen ausgewählt werden.

Sonstige Verwendung: Infolge der entzündungswidrigen und desodorierenden Eigenschaften und des angenehmen Geruchs sind Extrakte aus Kamillenblüten bzw. das aus diesen gewonnene ätherische Öl in zahlreichen Kosmetika und Hautpflegemitteln enthalten.


Bilder:

Die bereits durch ihren typischen Geruch leicht zu erkennende Echte Kamille ist in Deutschland oft auf sandigen und lehmigen Böden anzutreffen. Besonders an Feldrändern sowie auf Baubrachen bildet sie häufig Massenbestände (s. Abbildung links oben). Der Blütenboden ist hohl (s. rechte Abbildung) und konisch gewölbt, so dass die gelben Röhrenblüten nahezu auf einem Kegel angeordnet sind (s. Abbildung links unten). Die weißen Zungenblüten stehen zunächst wagerecht ab, sind dann aber meist zurückgeschlagen (s. Blütenstände vorne und halbrechts in der Abbildung links oben).


Literatur: Europäisches Arzneibuch, 4. Ausgabe, 6. Nachtrag und 5. Ausgabe, 1. Nachtrag; Hager-ROM 2003, Springer-Verlag; Jäger EJ, Werner KW, Rothmaler - Exkursionsflora von Deutschland, Band 4, Gefäßpflanzen: Kritischer Band, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin 2002; Hänsel R, Sticher O, Steinegger E, Pharmakognosie - Phytopharmazie, Springer Verlag, Berlin Heidelberg 1999; Marzell H, Wörterbuch der Deutschen Pflanzennamen, Verlag S. Hirzel, Leipzig 1943; Monografie der Kommission E, Bundes-Anzeiger Nr. 228 vom 05.12.1984 (Berichtigung 13.03.1990); Schilcher H, Kammerer S, Leitfaden Phytotherapie, Urban & Fischer, München Jena 2003; Svehlikova V, Bennett RN, Mellon FA, Needs PW, Piacente S, Kroon PA, Bao Y, Isolation, identification and stability of acylated derivatives of apigenin 7-O-glucoside from chamomile (Chamomilla recutita [L.] Rauschert), Phytochemistry 65 (2004): 2323-2332; USDA, ARS, National Genetic Resources Program. Germplasm Resources Information Network - (GRIN) [Online Database]; Wichtl M (Hrsg.), Teedrogen und Phytopharmaka, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002;


© Thomas Schöpke